Traurige Frau mittleren Alters schaut aus dem Fenster

Warum sich Frauen in der Lebensmitte unsichtbar fühlen

Die Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Das durchschnittliche Trennungsalter bei Frauen liegt bei 44,6 Jahren.1 In der Kunst werden Frauen über 30 selten porträtiert. Im deutschen Fernsehen sind nur magere acht Prozent der Frauenrollen über 50 – obwohl diese Altersgruppe zwanzig Prozent der Bevölkerung ausmacht.

Im Berufsleben zeigt sich ein ähnliches Bild. Viele hochqualifizierte Frauen um die 50 erleben, wie ihre Karriere plötzlich stagniert. Trotz konstanter Leistung und jahrelanger Erfahrung werden sie bei Beförderungen übersehen, stecken in Routinearbeit fest und bewegen sich weit unter ihren Möglichkeiten. In den 200 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands lag der Frauenanteil in Vorständen im vierten Quartal 2023 bei rund 18 Prozent.2 Die durchschnittliche Amtszeit der 2023 ausgeschiedenen männlichen Vorstände betrug fast acht Jahre, während die Frauen maximal drei Jahre im Amt blieben.3 Diese Daten deuten darauf hin, dass Frauen in Vorständen tendenziell jünger sind als ihre männlichen Kollegen und ihre Positionen oft kürzer innehaben. Die Botschaft ist subtil, aber deutlich: Sie haben ihren Zenit überschritten.

Der gesellschaftliche Druck

In einer Gesellschaft, die dem Jugendwahn verfallen ist, kämpfen Frauen in der Lebensmitte an allen Fronten. Es wird geliftet, gebotoxt und gehungert. Selbst scheinbar „ermächtigende“ Begriffe wie „MILF“ (bedeutet im Englischen: „Mom I’d like to f*ck“) entpuppen sich bei näherer Betrachtung als weitere Form der Fremdbestimmung. Die Botschaft ist klar: Streng dich an, bleib attraktiv, verberge die Spuren deines Lebens – sonst bist du nichts wert.

Die biologische Transformation durch die Wechseljahre wird dabei oft tabuisiert oder pathologisiert. Statt diese Phase als natürlichen Übergang zu würdigen, wird sie als defizitär dargestellt. Falten, dünnere Haare, schlaffes Gewebe, Bauchfett, zu niedrige Libido, Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen, Scheidentrockenheit usw. Übersetzt heißt das: weniger attraktiv = weniger Fuckability = weniger interessant. Der weibliche Körper wird ab der Menopause primär als „behandlungsbedürftig“ betrachtet, nicht als sich wandelndes, weises System.

Historische Wurzeln einer modernen Krise

Wer historische Medizinbücher liest, erfährt, dass Frauen in den Wechseljahren verrückt werden, zu stehlen beginnen oder sich unzählige Katzen zulegen. Im 18. Jahrhundert waren die Wechseljahre durchaus Grund genug zur Einweisung in eine psychiatrische Anstalt.4 Das Gefühl ausgemustert zu werden, ist historisch begründet.

Die Chance zur Veränderung

Doch genau hier liegt die Chance zur Veränderung. Die „Unsichtbarkeit“ ist kein naturgegebenes Phänomen, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt. Sie entsteht durch das Zusammenspiel überholter Rollenbilder und verinnerlichter Glaubenssätze. Wenn wir diese Mechanismen durchschauen, können wir sie verwandeln.

Darcey Steinke sagte in der 3sat-Doku „Sichtbar, stark und selbstbewusst – Die Revolution der Frauen über 50“ von Constanze Grießler und Franziska Mayr-Keber: „Du verwandelst dich in eine andere Kreatur, die viel stärker und weniger angepasst ist“.4

Die Lebensmitte kann der Beginn einer außergewöhnlichen Reise sein. Es ist die Zeit, innezuhalten und zu reflektieren: Was will ich wirklich? Welche alten Denkmuster und Gewohnheiten halten mich zurück? Welches Potenzial wartet darauf, entdeckt zu werden?

Die Jahre nach 45 können die kraftvollsten, erfülltesten und authentischsten im Leben einer Frau sein – frei von gesellschaftlichen Erwartungen. Statt unsichtbar zu werden, ist es Zeit, in voller Kraft sichtbar zu sein. Nicht trotz, sondern gerade wegen unseres Alters, unserer Erfahrung und unserer gesammelten Weisheit. Die Lebensmitte ist kein Ende – sie ist der Anfang einer neuen, selbstbestimmten Ära. Es liegt an uns, diese Geschichte neu zu schreiben und Vorbilder für die kommenden Generationen zu werden, vor allem für unsere Töchter.

Die besten Jahre liegen nicht hinter uns. Sie liegen vor uns – wenn wir den Mut haben, uns von alten Fesseln zu befreien und unsere eigene, strahlende Version von Sichtbarkeit zu leben.

Du musst diesen Weg nicht alleine gehen. Wir können ihn gemeinsam gehen.

 

Quellen

  1. https://www.diw.de/de/diw_01.c.889931.de/publikationen/wochenberichte/2024_03_2/frauenanteil_in_vorstaenden_grosser_unternehmen_gestiegen__meist_bleibt_es_aber_bei_hoechstens_einer_frau.html
  2. https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2024-01/frauenquote-vorstaende-dax-studie-altersgrenze
  3. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/180485/umfrage/alter-der-maenner-und-frauen-bei-der-scheidung/
  4. https://www.3sat.de/gesellschaft/politik-und-gesellschaft/sichtbar-stark-und-selbstbewusst-110.html