Wild wuchern statt People-Pleasing

Wenn das halbe Leben vorüber ist, wird es höchste Zeit, wild zu wuchern. Hier ist eine vergnügliche Anleitung dafür: „Wild Wuchern“ von Katharina Köller – ein Buch, das mich gefesselt hat. Es erinnerte mich an Marlen Haushofers „Die Wand“ und an ein Zitat, das mich seit Jahren begleitet: „Die Kindheit ist das, was man für den Rest seines Lebens zu überwinden versucht. “ Es stammt aus dem Film „Eine zweite Chance“ mit Sandra Bullock.

Vom People-Pleasing und Eremitendasein

In „Wild Wuchern“ treffen zwei Frauen aufeinander, die gegensätzlicher kaum sein könnten. Marie flieht vor ihrem gewalttätigen, narzisstischen Ehemann und sucht Zuflucht bei ihrer eigenwilligen Cousine Johanna. Johanna, wortkarg und unnahbar, lebt mehr mit der Natur und den Tieren als mit Menschen. Menschen mag sie nicht. Ganz anders Marie, die es allen recht machen will – eine People-Pleaserin durch und durch. Von Johanna erhofft sie sich Trost und Verständnis. Doch das bleibt aus. Stattdessen lernt sie das raue Leben auf der Alm kennen: kein Strom, nur kaltes Wasser, Holz hacken, Ziegen melken und schlafen in einer Kammer, die sie mit Mäusen, Spinnen und allem teilt, was sich durch die Ritzen der Hütte Zugang ins Innere verschafft. Für Marie ist das einerseits ein Alptraum, andererseits ihre Rettung. Hier, in der Wildnis, wird sie auf die Urgewalten der Natur zurückgeworfen. Hier begreift sie, wie klein und unbedeutend der Mensch im Angesicht dieser Kräfte ist – ein Käfer, ein Wurm, nicht mehr. Erst als ein Gewitter sie fast zerschmettert, bricht sie aus ihren alten Mustern aus. Doch nicht nur sie: Auch Johanna muss sich durch das Zusammenleben mit Marie ihren eigenen Dämonen stellen.

Muster der Kindheit

Zwei Frauen mittleren Alters, die alles riskieren mussten, um alte Muster zu sprengen. »Ich war dort, wo man mich hingepflanzt hat, wie ein Ziergewächs im Topf. Jetzt bin ich hier und wuchere. « Ein Satz aus dem Buch. Endlich, dachte ich, als ich ihn las. Endlich gibst du deiner wilden Natur Raum. Ist es nicht absurd, wie viele Jahre Menschen damit verbringen, ihr eigenes Gefängnis zu polieren? Genau das tun wir, wenn uns der Mut fehlt, aus alten Mustern auszubrechen. Muster, die in der Kindheit vielleicht überlebenswichtig waren. Damals half es, sich klein zu machen, zu ducken, still zu bleiben, um den kleinen Körper und die zarte Kinderseele vor dem Zorn der Erwachsenen zu schützen. Doch später wird dieses Muster zur Falle. Nichts anderes. Wie der Elefant, der als Jungtier an der Kette scheiterte und als Erwachsener nicht merkt, dass er sie mühelos sprengen könnte. Ein inneres Gefängnis, das unser Potenzial erstickt. Statt unsere Möglichkeiten zu leben, reden wir nur noch im Konjunktiv: Ich würde ja, wenn ich könnte, wenn ich mehr Zeit hätte, mehr Geld, wenn die Kinder aus dem Haus wären, wenn ich in Rente bin …

Ein Beispiel aus meinem Alltag

Ich habe ein Beispiel aus meinem Umfeld, das zeigt, wie schwer das sein kann. Ich kenne eine Frau, heute 69 Jahre alt. Wir begegnen uns gelegentlich und plaudern. Sie ist eine starke Frau, sie weiß es nur leider nicht. Ihre Gefängnismauern werden mit den Jahren dicker. Sie hat sich so sehr daran gewöhnt, dass sie ihr wie ein gemütliches Zuhause erscheinen. Dort erzählt sie sich ihre Leidensgeschichte immer wieder neu.

Sie wurde in der Nachkriegszeit geboren, in einem kleinen Dorf in der Uckermark. Als älteste Tochter musste sie nach dem frühen Tod ihrer Mutter den Haushalt führen, die Tiere versorgen und sich um die jüngeren Geschwister kümmern. Ihr Vater, ein gewalttätiger Alkoholiker, brüllte sie nachts aus dem Bett, wenn sie die Schweineställe nicht ausgemistet hatte. Morgens brachte sie die Geschwister in die Kita, bevor sie den einstündigen Schulweg antrat. Einmal bekam sie ein altes Fahrrad geschenkt. Noch am selben Abend verkaufte ihr Vater es in der Kneipe und vertrank das Geld. Wenn sie von ihrer Kindheit erzählt, versagt ihr oft die Stimme, und sie weint. Ich bin sicher, dass sie auch sexuellen Missbrauch erlebte. Bis heute hat sie ihre Kindheit nicht überwunden.

Mit 69 Jahren hat sie aufgehört zu arbeiten und rechtfertigt sich noch immer dafür. Ihr Leben war geprägt von harter Arbeit. Ein Leben auf dem Land, mit eigener Landwirtschaft, die heute ihr Sohn führt.

Wenn Trotz und Wut sich durchsetzen

Als ich sie zuletzt traf, erzählte sie, dass sie sich endlich eine neue Küche gönnt. Ihre alte ist 48 Jahre alt. Ihr Mann ist dagegen, aber sie sagte: „Auch mein Geld ist in unser Erspartes geflossen. Wenn er jetzt Angst hat, wir verhungern, tut er mir leid. Er glaubt, nur er darf krank sein, weil er monatelang im Krankenhaus lag. Ich gehe eben nicht zum Arzt. “ Dann sah sie mich an, Tränen in den Augen, und sagte: „Ich bin fix und fertig. Ich kann nicht mehr. “

Und doch macht sie weiter. Vielleicht, um sich zu beweisen, dass sie es noch kann. Sie bleibt bescheiden, macht sich klein, hofft, dass sie irgendwann Anerkennung erntet – für all das Versorgen, Umsorgen, Aufopfern. Doch niemand würdigt ihr Tun. Jeder in der Familie ist mit eigenen Dramen beschäftigt. Diese Familie scheint vom Schicksal gebeutelt, als zögen sie Unglück an. Mal brennt der Traktor, mal wird eingebrochen, mal gibt es Ärger mit Behörden oder Nachbarn, mal schlägt eine Krankheit zu. Es wirkt, als wären diese Dramen der Kitt, der die Familie zusammenhält.

Wenn das Glück der anderen unerträglich ist

Mit den Jahren ist sie härter geworden. Das Glück anderer erträgt sie kaum. Wie können andere so gesegnet sein, ohne etwas dafür geopfert zu haben? Sie hingegen hat ihr Leben geopfert – und muss nun erkennen, dass sie ihr Glück selbst in die Hand nehmen muss. Also bestellt sie einen Handwerker, der die alte Küche abreißt und die neue einbaut. Niemand hilft ihr dabei. Sie muss es allein durchsetzen. Dass das in der Familie auf Widerstand stößt, ist klar. Sie lernen nun neue Seiten an ihr kennen. Es fällt ihr nicht leicht, sich durchzusetzen. Akzeptanz gibt es kaum. Doch Trotz und Wut auf das ungerechte Leben treiben sie an. Sie will sich nicht mehr anstrengen, rechtfertigt sich aber trotzdem für das bisschen Glück, das sie sich gönnt.

Übrigens: Sie ist nicht meine Klientin. Von Therapeuten hält sie nichts. „Die reden einem nur Probleme ein, die man gar nicht hat. Und überhaupt, das ist doch keine richtige Arbeit. “ Trotzdem spricht sie gern mit mir – am liebsten, wenn ihr Mann nicht dabei ist. Irgendwann fließen immer ihre Tränen, und ich höre zu, spende Trost, bewundere ihre Kraft und sorge dafür, dass sie zum Abschied wieder lächeln kann.

Selbstgebaute Gefängnisse

Du kennst sicher solche Menschen. Sie sitzen ihr Leben lang in einem selbstgebauten Gefängnis und warten auf ein Wunder, das sie befreit. Irgendwann beginnen sie, ihre Zelle zu schmücken, als gäbe es keinen besseren Ort. „Wir haben es doch gut hier. Es ist doch so schön. Was will man mehr, oder? “

Test: Bist du ein People-Pleaser?

Vielleicht erkennst du dich selbst ein wenig wieder. Bist du ein People-Pleaser? Teste es:

  1. Fühlst du dich nur wertvoll, wenn andere dich mögen?
  2. Sagst du oft Ja, obwohl du Nein meinst?
  3. Vermeidest du Konflikte, um deine Bedürfnisse nicht durchsetzen zu müssen?
  4. Reagierst du unsicher oder ängstlich auf Kritik?
  5. Kennst du die Bedürfnisse anderer besser als deine eigenen?
  6. Versuchst du, Fehler um jeden Preis zu vermeiden?
  7. Fühlst du dich schuldig, wenn du nicht helfen kannst?
  8. Suchst du die Schuld bei dir, wenn andere sich schlecht benehmen?
  9. Übernimmst du Verantwortung für Dinge, die nicht deine Aufgabe sind?
  10. Misstraust du Lob oder Komplimenten?

Wenn du öfter Ja als Nein gesagt hast, bist du vermutlich ein People-Pleaser.

Hungrige Seelen auf der Suche

People Pleaser sind liebeshungrige Seelen, die panische Angst vor Ablehnung haben. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Über zehn Jahre lang war ich eine aufopfernde Stiefmutter – bis ich meine Lektion lernte. Sie war hart, aber notwendig. Die meisten verzweifelten Stiefmütter, die ich in meiner Zeit als Patchworkfamilienberaterin traf, opferten sich auf. Sie gaben mehr, als nötig war, mehr, als ihre Kräfte erlaubten. Dahinter steckte fast immer eine tiefe Sehnsucht: der Wunsch nach Anerkennung. Die Patchworkfamilie ist selten der Ort, wo dieser Wunsch erfüllt wird.

Am Ende müssen wir begreifen, warum wir an blockierenden Mustern festhalten, was uns wirklich antreibt – und wie wir aus diesem Gefängnis ausbrechen. Es geht darum, unseren eigenen Weg zu finden und den Mut aufzubringen, ihn zu gehen. Genau das ist der Kern meiner Arbeit: alte Muster auflösen. Es geht darum, zu unserem wahren Selbst vorzudringen, uns zu erkennen und anzunehmen, wer wir wirklich sind – nicht, wer wir sein sollten. Und damit schließt sich der Kreis zum eingangs erwähnten Zitat.

Selbstverständlich Raum nehmen

„Ich war dort, wo man mich hingepflanzt hat, wie ein Ziergewächs im Topf. Jetzt bin ich hier und wachse wild. “ Und was tut eine wuchernde Pflanze? Sie nimmt sich den Raum, den sie braucht, um zu wachsen – selbstverständlich, frei, ganz nach eigenem Sinn und Stil.

Doch wer in uns muss heilen, damit wir diesen Schritt gehen können? Überleg mal: Welche Stimme in dir sehnt sich nach Liebe, Anerkennung, Verbundenheit? Ist es dein erwachsenes Ich? In all meinen Sitzungen zeigt sich: Es ist das Kind-Ich. Es hungert nach Geborgenheit, Schutz, Fürsorge und Liebe. Darum sage ich: Dieses Kind-Ich muss heilen, damit es wirklich erwachsen werden kann. Dein jüngeres Ich braucht Zuwendung.

Wenn du einen Schubser brauchst, helfe ich dir gern. Über diesen Link, kannst du direkt eine Einzelsitzung mit mir buchen kannst.